Wie unsere heutigen Rebsorten entstanden sind, ist eine immer wiederkehrende Frage der Weinbaupraxis. In den letzten Jahren hat sich dabei zusätzlich zur historischen Dimension eine naturwissenschaftliche Möglichkeit aufgetan, die zumindest die Herkunft im genetischen Sinne klären kann. Trotzdem brauchen wir die historische Sortennennung, ohne die keine Gebietsherkunft möglich ist. Insgesamt sind Aussagen zur Herkunft und Abstammung immer nur so gut abgesichert, als für die historischen Werke recherchiert wurde. Auch damals gab es schon die Tendenz, dass Kopieren einfacher ist, als ein Original selbst herzustellen.
Leider ergibt sich dadurch auch für einige österreichische Sorten kein klares Herkunftsbild: Bisher konnte man in alten Rebbüchern über die Sorte Grüner Veltliner sehr wenig bis gar nichts erfahren. Der Name ist eine relativ junge Benennung einer Sorte, die früher unter den Bezeichnungen „Weißgipfler“ oder „Grünmuskateller“ gelaufen ist. Die erste Benennung als Grüner Veltliner erfolgte in der Babo/Mach-Sortenampelographie. Die ausreichende Beschreibung lässt die Sorte erkennen und damit kann man von der richtigen Identität ausgehen.
Dieser Irrtum ist nur aufgrund von Vermutungen nachzuvollziehen, denn keiner der Ampelographen hat ihn je ausgesprochen. Die Sorte „Roter Veltliner“ gab und gibt es seit Jahrhunderten und eine (von vielen) mutierte Form davon ist der „Braune Veltliner“ mit zur Reifezeit braungrauen Trauben. Weil man aber Reben der Sorte „Brauner Veltliner“ mit dem „Weißgipfler“ vermengt bzw. verwechselt hat, wurde die Bezeichnung auf die Beerenfarbe abgestimmt und die Rebe als Grüner Veltliner bezeichnet.
Damit glaubte man, der Grüne Veltliner sei eine Mutante des Braunen oder auch nach heutiger Erkenntnis Roten Veltliners. Dieser Braune Veltliner wird auch heute noch in manchen Gebieten als Österreicher bezeichnet und ist keineswegs ausgestorben. Durch diverse Abstammungen und die genetische Struktur des Roten Veltliners konnte erkannt werden, dass diese Sorte die Schlüsselsorte im Zentrum der Veltlinerfamilie ist.
Der Grüne Veltliner passt vom botanisch-genetischen Sichtwinkel nicht dazu. Sobald vor dem 19. Jh. von Veltliner gesprochen wird, handelt es sich ausschließlich um den Roten Veltliner. Im 17. Jh. spricht man vom Großen Braunen Veltliner. Bei Nennungen im 16. Jh. ist sogar unklar, ob die Sorte oder der Wein aus dem italienischen Valtellina gemeint sind. Babo und Mach meinen zur Namensgebung des Grünen Veltliners lapidar: „Alleine da diese Bezeichnung einmal allgemein ist, wollen wir sie beibehalten.“
Das historische Conclusio ist eher kurz und lässt sich auf folgende Aussage bringen: Über die Abstammung gibt es wenig Konkretes und das Wenige ist auch noch teilweise falsch. Besser recherchiert ist die Gegend, wo die Rebsorte auch schon im 19. Jh. weit verbreitet war und wo zum Teil – gegen den Widerstand der Landesherren – der Grüne Veltliner gepflanzt wurde. Burger (1837) nennt das Zentrum für die Kultivierung der Plinia austriaca (oder Grünmuskateller) – wie er sie nennt – in der Retzer Gegend (Pulkau, Zellerndorf, Rötz, Haugsdorf und Stinkenbrunn), an der Brünner und Horner Straße. Dort wurde sie schon reinsortig gepflanzt, obwohl zu dieser Zeit der Mischsatz die übliche Risikostreuung im Weinberg war. Interessant scheint auch die Zuordnung in eine Familie mit den anderen Plinia-Reben wir Rotgipfler und Riesling. Beide lassen als Gemeinsamkeit zum Grünen Veltliner den Traminer-Einfluss erkennen. Die Sortenbeschreibung bei Burger ist ausreichend und der Grüne Veltliner erkennbar.
Schams (1832) berichtet über die Pressburger Stadtordnung, die 1804 von der Pflanzung des Grünmuskatellers abrät. Zu dieser Zeit gilt der Grünmuskateller als leerer Massenträger, der nur einfachste Weinqualität ermöglicht. Der Name „Muskateller“ wird als unrichtig erkannt. Unwillkürlich drängt sich die Frage auf, ob noch von derselben Sorte die Rede ist oder ob der Grünmuskateller eine Vorstufe des heutigen Grünen Veltliners gewesen sein könnte?
Das Alter der Rebsorte führte nach unseren Erkenntnissen, die durch eine umfassende Analyse von über 100 Klonen und Genotypen der Sorte gemacht wurde, eher jung sein. Die Variabilität an einzelnen Standorten ist gleich groß oder größer als zwischen weiter entfernten Orten. Folglich konnten sich die so oft beschriebenen Typen eher durch phytopathologische Veränderungen als durch genetische ergeben haben. Der Schluss, es handle sich beim Grünen Veltliner um eine eher junge Rebsorte drängt sich auf.
Wenn man noch einen Zeitsprung zurück macht, stößt man bei Sprenger 1766 auf die erste Nennung des Grünen Muskatellers, der aus Oedenburg sein soll. Abgesehen davon, dass bei Sprenger sehr viele Sorten diesen Titel (aus Oedenburg) tragen, ist die ampelographische Beschreibung sehr dürftig, aber nicht auffallend falsch. Irritierend ist, dass die Sorte den Muskatsorten zugeordnet wird. Das lässt auf eine falsche Zuordnung oder eine andere Identität des Grünmuskatellers schließen. Vor dieser Zeit verschwindet die Rebe in der diffusen Beschreibung der früheren Jahrhunderte.
Allerdings gibt es für diese Rebe keinen Namen und die Beschreibung kann aufgrund des schlechten Zustandes der Rebe nicht verlässlich durchgeführt werden. In diesem Fall könnte man die Rebe einstweilig nach ihrem Isolationsort „St. Georgen“ nennen. Die Rebe dürfte dort schon einige Jahrhunderte gestanden haben, dies lässt der mehrfache und teilweise abgestorbene Stamm sowie die vermutete Letztbepflanzung des Grundstückes schließen. Jedenfalls jat sie trotz Reblaus und Mehltauplage dennoch überlebt. Die Übereinstimmung der beiden Sorten „Grüner Veltliner“ und Rebe „St. Georgen“ an allen Genorten ist nicht 100%, wurde aber an allen 19 Chromosomen als zweifelsfrei erkannt.
Der Fund dieser Rebe am Leithagebirge kann uns aber keine Auskunft über die ehemalige Verbreitung dieser Sorte geben. Erste Vergleiche des genetischen Profils mit Datenbanken in Ungarn und Kroatien blieben erfolglos. So wird versucht werden, Rebmaterial von der seltenen Rebe weiter zu vermehren und mit vorhandener Beschreibung eine Rekonstruktion des Namens zu erreichen. Sinnvoll wäre sicher, das alte Synonym „Grünmuskateller“ für den Vorfahren des Grünenen Veltliners zu verwenden, doch ist dieser Name wegen dem Fehlen der Muskat-Eigenschaften sehr wahrscheinlich nicht zutreffend. Als Zwischenlösung wäre auch der Auffindungsort der Rebe (St. Georgen) denkbar.
Quelle: Auszug des Beitrags von Dr. Ferdinand Regner „Herkunft unserer Rebsorten: Grüner Veltliner, Blaufränkisch und St. Laurent“ in der Ausgabe „Der Winzer“ 04/2007.